Varel. Von Sorgen, Wut und Enttäuschung geprägt ist in diesen Tagen die Atmosphäre in der Belegschaft von Premium Aerotec – nicht nur, aber besonders im Werk Varel: Steht doch dieser Standort offenbar beim Mutterkonzern Airbus zur Disposition. Hintergrund ist die Auseinandersetzung um die künftige Struktur von Airbus Operations und Premium Aerotec. Bekanntlich gibt es beim Konzern Pläne, die Werke Varel und Augsburg abzustoßen. Nachdem sich ein potenzieller Käufer unlängst wieder zurückgezogen hat, steht nun die Frage nach der Zukunft der Standorte drängender denn je im Raum. Im Vareler Werk arbeiten rund 1.300 Menschen für Premium Aerotec, darunter 100 Auszubildende.
Die Gewerkschaft fordert einen Sozialtarifvertrag, der den Beschäftigten aller Standorte Sicherheit bieten soll. Stattdessen setze das Unternehmen aber auf Konfrontation, beklagt Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste. „Die Geschäftsführung lehnt ein Zukunftspaket mit festen Zusagen für alle Beschäftigten und Standorte unter dem Dach von Airbus weiterhin ab“, sagte Friedrich. Damit zwinge das Unternehmen Gewerkschaft und Betriebsrat in den Konflikt.
"Ausgestreckte Hand wurde weggeschlagen"
Marcus Baitis als Vertrauenskörper-Leiter am Standort Varel und die IGM-Bevollmächtigte Martina Bruse begrüßten am Morgen hunderte Beschäftigte vor dem Werkstor in Neuenwege. Mit Feuertonnen, Transparenten und roten Papp-Fäusten machten die Männer und Frauen in Neuenwege auf ihre Forderungen aufmerksam.
Gekommen waren außerdem einmal mehr Politiker, die sich als „Allianz des Nordens“ für den Erhalt von Standorten und Arbeitsplätzen einsetzen: Etwa die Bundestagsabgeordnete Siemtje Möller, die Landtagsmitglieder Karin Logemann und Horst Kortlang, Landrat Sven Ambrosy sowie Varels Bürgermeister Gerd-Christian Wagner.
Der Vareler Aerotec-Betriebsratsvorsitzende Jürgen Bruns berichtete, dass die Geschäftsführung es jüngst abgelehnt habe, sich das Konzept des Betriebsrats überhaupt ernsthaft anzuschauen. „Das werden wir uns nicht bieten lassen. Wir sind Flugzeugbauer, die nicht“, so Bruns, „also gehört doch vielmehr Herr Ehm in Frage gestellt, nicht wir. Wir werden für den Standort kämpfen und nicht zuletzt für unsere engagierten Azubis. Wir wollen, dass ihr noch die Chance habt, hier auch eines Tages in Rente zu gehen.“
Marcus Baitis berichtete davon, dass viele Beschäftige von Angst und Ungewissheit geplagt seien. „Die ausgestreckte Hand wurde uns weggeschlagen, deshalb bilden wir nun symbolisch die Faust“. Baitis kritisierte, dass dieselben Akteure bei der Geschäftsführung, die 2019 noch deutlich erklärt hätten, für eine Zerschlagung des Unternehmens nicht zur Verfügung zu stehen, davon nun nichts mehr wissen wollen.
Die Abgeordnete und verteidigungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag Siemtje Möller sprach von einer „Sauerei“ und von großer Enttäuschung: Es sei ihr persönlich von Seiten der Airbus-Führung zugesagt worden, den Verbleib von Aerotec im Verbund ernsthaft zu prüfen: „Das haben sie aber nicht gemacht und das ist unseriös“, so Möller unter dem Applaus der Belegschaft. Dem Management gelte es nun zu zeigen, „dass wir uns nicht kaputt machen lassen“, sagte sie weiter. „Und wenn es sein muss, stehe ich hier morgen und nächste Woche wieder mit euch!“
Klare Worte an die Adresse der Aerotec-Führung fand auch Katharina Volk von der IG-Bezirksleitung Küste. Sie hatte an Sitzungen der Verhandlungskommission teilgenommen und zeigte sich geradezu entsetzt von der Entwicklung der vergangenen Tage. Nach einer Betriebsversammlung am Dienstag sei sie „mit Wut im Bauch“ nach Hause gefahren angesichts dessen, was die Geschäftsführung sich dabei geleistet habe. „Der Mann (Aerotec-Geschäftsführer Dr. Thomas Ehm, d. Red.) schafft es nicht, sich hinter seine Leute zu stellen sondern duckt sich vor dem Airbus-Management.“ Es gelte außerdem, ein Zeichen nach Toulouse zu senden: „Wir fordern Zukunft für unsere Standorte.“
Frieslands Landrat Sven Ambrosy stellte fest, dass die Unternehmen Airbus und Aerotec dabei seien, „es sich mit den Regionen zu verscherzen, und sprach dabei auch für den Hauptsitz Augsburg. „Wir werden so lange kämpfen, bis wir hier stehen, um den Sieg zu feiern.“ Er erinnerte an frühere Arbeitskämpfe, die stets mit Erfolg ausgetragen worden seien.
„Airbus und Premium Aerotec haben immer wieder die Nähe zur Politik gesucht, haben Unterstützung und Millionen Euro bekommen. Doch Solidarität und Hilfe sind keine Einbahnstraße“, schimpfte Ambrosy. Die Auftragsbücher seien voll, der Klimawandel fordere doch in Zukunft ganz neue Flugzeuge. „Wer soll die denn bauen? Es muss endlich wieder Vernunft in die Debatte“, forderte der Landrat, der dem Aerotec-Betriebsrat bescheinigte, die besseren Konzepte zur Unternehmensführung zu haben. „Da kann Nachhilfe gegeben werden“, so Ambrosy.
Der Vareler Bürgermeister Gerd-Christian Wagner zeigte sich beeindruckt vom Kampfgeist der Belegschaft. „Wir sind gemeinsam durchaus eine Macht“, erinnerte auch er an zurückliegende Auseinandersetzungen. Die Situation des Werkes sei in den vergangenen Wochen häufig bei Wahlkampfgesprächen Thema gewesen, „jeder weiß, wie wichtig das Werk für die Region ist“. Er kritisierte die „Unehrlichkeit“ der Unternehmensleitung, die lange stets betont habe, es sei alles offen.
„Ich weiß nicht, was ihr jetzt macht, aber ich gehe nach Hause“, sagte IGM-Bevollmächtigte Martina Bruse zum Abschluss. Und die Beschäftigten taten es ihr gleich: Die Spät- und die Nachtschicht fielen am Freitag aus. Und weitere Aktionen, das scheint nahezu sicher, werden folgen. „Wer Wind sät...“, deutete Martina Bruse an: „Das heute ist aber nur ein Stürmchen.“
Von PAG-Mutterkonzern Airbus gab es am Freitag eine Stellungnahme zu den Warnstreiks und der dabei artikulierten Position von Betriebsrat und Gewerkschaft. Man verstehe, dass die derzeitige Situation Unsicherheiten hervorrufe und man respektiere das Recht der Beschäftigten, ihren Sorgen Ausdruck zu verleihen", heißt es darin zunächst. Das Unternehmen stehe aber bereits mit den Sozialpartnern in Verhandlung und habe konkrete Zugeständnisse für die Neuorganisation und ihre Umsetzung einschließlich Sicherungsmechanismen für die Standorte und Beschäftigung unterbreitet.
Auf folgende Punkte weist ein Airbus-Sprecher dabei hin:
- Sicherung aller Standorte der Airbus Operations GmbH und des neuen Airbus Sektionsmontage-Unternehmens in Deutschland bis 2025
- Keine betriebsbedingten Kündigungen für die Mitarbeiter des neuen Sektionsmontage-Unternehmens
- Airbus-Sektionsmontage bleibt Kerngeschäft
- Tarifbindungen für das neuen Sektionsmontage-Unternehmens bleiben erhalten
- Mitbestimmungsstrukturen werden entsprechend der neuen Organisation aufgebaut und angepasst
"Für mögliche zukünftige Flugzeugprogramme der nächsten Generationen, die zum jetzigen Zeitpunkt weder entschieden noch definiert sind, können wir selbstverständlich derzeit noch keine konkreten Vereinbarungen treffen", heißt es weiter. Was das Einzelteilgeschäft betreffe, sei den Sozialpartnern zugesichert worden, dass zentrale Auswahlkriterien für einen Investor ein tragbares industriellen Konzept sowie die Beibehaltung der sozialen Standards seien. "Airbus wird einem Investor zudem anbieten, an dem Einzelteilunternehmen im Rahmen einer Übergangsbeteiligung mit bis zu 25 % beteiligt zu bleiben. Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass wir durch den Verkauf an einen starken Partner die Einzelteilaktivitäten zukunftssicher machen und damit Beschäftigung sichern können."